
Text: Carla Magnanimo
Swipe, swipe,
hoch und runter,
kurz innehalten,
wieder hoch, zurück,
halt,
was war das?
Mein Fingernagel klackert auf dem Bildschirm, die Frau neben mir kümmert es nicht. Sie ist in ihrem eigenen Film gefangen, ich sehe rüber, sehe blinkende Lichter auf ihrem Bildschirm, irgendwas ist im Angebot, ob sie wohl zuschlägt, wenn nicht jetzt wann dann, schreit mein Handy mich an. Wenn sie es nicht macht, muss ich für sie klicken, so blöd wird sie ja wohl nicht sein? Eine eindringliche Stimme flüstert mir ins Ohr, ich schrecke auf. Ist das der Typ auf meiner anderen Seite? Achso, nein, Spotify flüstert mir was, ich höre schon gar nicht mehr richtig hin, warte geduldig, bis sich die Nachricht in meinem Gehirn festgesetzt hat, wie ein kleiner Parasit, der erst gefährlich wird wenn es schon zu spät ist.
Ich sehe hoch. Vor mir Menschen auf rot-lila Sitzen, die Köpfe gesenkt, die Finger fliegen hoch, ich sehe Neon in den Augen glitzern, dahinter nicht mehr viel was zum Träumen einladen würde. Das Paradies schwimmt auf meinem Display an mir vorüber. “Drogenprobleme?”, fragt mich ein Plakat. Nö. Jedenfalls noch nicht. Falls ja, weiß ich ja jetzt wohin ich mich wenden kann. Daneben eine Frau, für immer eingefroren und verewigt hinter traurigem Hartplastik – ob das wohl das traurigste Gefängnis der Welt ist? Mit zerkratztem Gesicht schaut sie mich an, angestrengt angeekelt und glaubt, mich so für neue Achselpads interessieren zu können. Ich frage mich, wer die Arme in dem Hartplastikgefängnis eingesperrt hat. Starre das Schild zwei Minuten lang an, angeekelt schaue ich, meine mich selbst riechen zu können, vielleicht brauche ich ja doch Achselpads? Oder ist es nur der Typ neben mir, der aussieht als würde er in der U8 wohnen, sich abends liebevoll auf den Sitzen zusammenrollen, einen der zerrissenen rot-lila Plastiküberzüge als Decke bis unters Kinn gezogen, bewacht vom Achselpad-Engel weit über ihm.
Swipe, swipe,
hoch und runter,
kurz innehalten,
wieder hoch, zurück,
Halt! Was war das? Mich springt etwas Rosapastellfarbiges an, eigentlich nicht mein Ding, aber irgendwie… irgendwas… da hat es kurz gekribbelt in meinen Fingerspitzen, hinter meinen Augäpfeln pulsiert das Blut, das spüre ich ganz deutlich, vielleicht doch mal kurz draufklicken? Ich muss ohnehin noch vier Stationen fahren. Ich bin unschlüssig, bin doch schlauer als das, weil ich weiß, dass Instagram dann weiß, dass ich mehr wissen will. Dass ich mehr haben will. Aber wenn ich doch jetzt bloß einmal kurz gucken will? Beiße mir auf die Lippe, starre.
Drogenprobleme?
Immer noch nicht. Die Frau neben mir kichert. TikTok. Irgendeine 17-jährige, die als Plüscheinhorn verkleidet ist, hält einen McDonald’s Burger in die Kamera. Ich kann ihn beinahe riechen. Die Frau neben mir leckt sich bereits die Lippen, ich kann förmlich das Wasser hören, das ihr im Mund zusammenläuft, ein Wasserfall der Gelüste, sie kann ihn schon schmecken, das gebratene Fleisch mit dem geschmolzenen Käse drauf, der kein Käse ist und ohne Probleme als Plastikdecke für Playmobil-Figuren durchgehen würde. Ich sehe meine Sitznachbarin bereits vor mir, wie sie aus der Bahn aussteigt und sich leicht panisch umschaut, auf der Suche nach dem Plastikdeckchen, das sich um ihre Zähne schmiegen und diesen Geschmack, den sie vor allem im Gehirn schmecken wird.
Drogenprobleme?
Vielleicht sollte ich sie darauf aufmerksam machen. Aber mich lenkt das rosapastellfarbige Etwas ab, das mir auf meinem Bildschirm entgegen leuchtet. Jetzt ist es eh egal, habe schon zu lange innegehalten und irgendein Algorithmus im www freut sich gerade darüber, mich noch ein kleines bisschen mehr entblößt zu haben, mir eine weitere Schicht meiner Haut abgetragen zu haben, die mich doch eigentlich schützen soll (aber nur mit Neutrogena, darauf schwör ich, die mit der norwegischen Formel).
Ich weiß schon, was jetzt passiert. Dieses kleine rosapastelfarbige Etwas, diese Pixelansammlung auf meinem Bildschirm, wird mich verfolgen. Und nicht nur in meiner Browserhistory und in meinem für mich persönlich angelegten Algorithmus, der sich an mich anschmiegt wie ein Latex-Catsuit, sondern bis in meine Träume. Ich werde am Schreibtisch sitzen, voller Konzentration und auf einmal wird sich vor meinen inneren Augen die volle Blüte, diese komplette Farbpracht entfalten, ich werde das Material unter meinen Fingerspitzen fühlen, mich darauf ausbreiten und -weiten, mir wird das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl das rosapastelfarbige Etwas nichts zu essen ist, aber eins wird mir auf einmal klar sein, ohne dass ich mir dessen bewusst werde: Ohne dieses Etwas geht es halt nicht mehr. Auf einmal haben alle meine Freunde es auch. Oder hatten es vielleicht schon immer? Als wäre es schon immer da gewesen, hätte immer auf mich gewartet. Am Anfang wehre ich mich noch, meine Fresse 89,99 Euro, wann habe ich mal so viel ausgegeben, das ist beinahe ein Fünftel meines Kontostands, für etwas, das ich bestimmt nicht einmal täglich benutzen werde. Mein altes Ich würde mich schallend auslachen, mir sagen wie erbärmlich ich doch sei, jetzt doch auf einmal dem Trend zu folgen, bisschen late to the party, oder?
Egal, sagt mir das rosapastellfarbige Etwas, lieber spät als nie, oder?
Ich öffne meinen Computer, HALLO DU KAUF MICH.
Ich schließe meinen Computer. Ich entsperre mein Handy,
HEY, JETZT MACH ENDLICH MAL.
Ich schmeiße mein Handy aufs Bett. Nehme es nach zwei Minuten wieder, weil ich vergessen habe, wieso ich es weggeschmissen hab. Vielleicht hat mir ja jemand geschrieben?
HALLO, sagt das rosapastellfarbige Etwas, BIST DU JETZT MAL READY?
Ich lege es in meinem Warenkorb ab, ganz vorsichtig. Schließe danach sofort die App. Als würde mich das abhalten, lächerlich. Zwei Tage später bekomme ich eine Email.
HEY DU
JA DU,
DU HAST DA NOCH WAS IN DEINEM WARENKORB ÜBRIGENS,
NICHT VERGESSEN, NE?
Ich winde mich. Scheiße, ich bin fast soweit.
ÜBRIGENS:
MICH GIBT ES AUCH IN DUNKELGRÜN!
NUR DASS DU BESCHEID WEISST…
Gamechanger.
Ich öffne die App.
Da liegt es vor mir, in schillerndem Dunkelgrün.
Das Blatt hat sich gewendet, ich finde keinen einzigen Grund mehr, wieso ich nicht auf KAUFEN klicken sollte. Weiß nicht mehr, was vor einer Woche noch dagegen gesprochen hat, mir dieses Etwas zuzulegen, nun nicht mehr rosapastellfarben, nein, ein fantastisches, mystisches Dunklegrün, verdammt wird das gut aussehen auf meinem holzfarbenen Dielenboden, wie konnte ich nur all die Zeit ohne dieses Zauberding leben?
Ich komme mir dumm vor, mein Gehirn wie in Zucker aufgelöst, so aufgeregt bin ich, als ich klicke und drücke und swipe und
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH
DEIN KAUF WURDE ABGESCHLOSSEN!
Danke, Handy. Danke, Algorithmus. Danke, an alle, die dasselbe Etwas in ihren Zimmern liegen haben, sodass ich mich nicht alleine so fühlen muss, wie ich mich kurz danach fühle. ‚N bisschen schmutzig.
Hab ich grad ernsthaft 90 Euro für eine organic Yogamatte ausgegeben, obwohl ich nicht mal wirklich Yoga mache? Nur so fürs Gefühl, weil könnte ja passieren, dass ich dann noch mal irgendwann vielleicht, naja, you never know und so. Aber was für ein geiles Gefühl, wenn es dann nach ein paar Tagen an der Tür klingelt. Du springst auf, du weißt wer das ist, nein du hoffst es, du willst das Paket endlich in deinen Händen halten, aufreißen und endlich die Erfüllung all deiner Wünsche vor dir sehen. Gott ja, schreit es in dir, wenn du hörst, wie der DHL-Mann ächzend deine Treppen hochgeschlurft kommt. Du wartest an der Tür, reißt es ihm beinahe aus den Händen, murmelst noch schnell ein halbhöfliches “Jo, Danke”, schließt die Tür. Dein Herz hüpft, wenn du das Paketband aufreißt und endlich. Einfach nur weil du kurz innegehalten hast. Nur ein paar Sekunden. Und jetzt dieses Gefühl. Fast besser als Sex. Wie du einfach nachgegeben hast, einfach mal kurz alle Gedanken abgeschaltet, einfach gesehen und gefühlt hast, was irgendein Etwas dir kurz zuflüstern wollte, ein kleines Bild, eine kleine Einladung.
Apropos Sex, Moment mal, hast du nicht neulich erst was gesehen, gab es da nicht was, ein Bild, kurz dran vorbei gescrollt? Ist das nicht auch irgendwie wichtig heutzutage, sowas zu haben, aber bitte nichts, was irgendwo produziert wurde, sodass man es moralisch nicht verantworten kann und auch am besten schon ein bisschen cooler als so ganz billig, deswegen versuch dich zu erinnern, wo du das gesehen hast, und es muss ja auch einen Grund geben, wieso du dich erinnerst, wieso diese Farbe und die Worte dir im Kopf geblieben sind. Oder?
20 PROZENT AUF DEINEN ERSTEN VIBRATOR!
TREAT YOURSELF.
LOVE YOURSELF.
ALL YOU NEED IS LOVE.
SEX.
LOVE.
DO IT YOURSELF.
Na, gucken schadet ja nicht. Oder? ODER?!