WENN HUNDE DA SIND:

HUNDE ABSAUGEN.

Wenn Handelsvertreter:innen uns zum eigenen Glück verhelfen wollen.

Text: Lana Debus
Illustration: Thomas Köster

Die guten alten Handelsvertreter, allgemein als Staubsaugervertreter bekannt und abgestempelt. Rund 900.000 gibt es davon derzeit in Deutschland –  sie alle haben heiße Ware, die vertrieben und vertickt werden soll. Neben Staubsaugern haben sie oftmals aber auch Kosmetik, Wellnessprodukte oder Tiernahrung im Gepäck. Schauplatz ist immer das Eigenheim der potenziellen Kund:innen. Ein Einsatz in vier Wänden.

Hier in meiner WG in einem Mehrfamilienhaus Berlin-Neukölln hat schon lange niemand mehr geklingelt und ungefragt belanglose Produkte beworben. Nur der Briefkasten ist voll mit Flyern von Umzugsfirmen und Perückenwerbungen für meine Mitbewohnerin, deren Katalog sie vergessen hat abzubestellen. Der „Werbung – Nein Danke“ – Sticker an unserem Briefkasten scheint nicht wirklich eine Hürde für Kaufempfehlungen von Hinz & Kunz zu sein. 

Früher machte man das wohl so. Aus Langeweile und zur Unterhaltung einfach mal eine:n Staubsaugervertreter:in anrufen und eine kostenlose Teppichreinigung mit den modernsten Geräten auf dem Markt anfordern. Wirkt irgendwie vergnüglich und man will ja nicht mit den Haushaltsgeräten der letzten Saison seine Wohnung reinigen müssen. Oder Leute zu sich nach Hause einladen, die einem scharfe Messer und Scheren vorführen – irgendwie klingt das für mich nach einer fragwürdigen Idee. Vielleicht bringe ich aber auch einfach fremden Menschen gegenüber nicht mehr genug Vertrauen auf. In Pandemiezeiten wie jetzt ist es ohnehin wohl nicht die beste Idee, völlig Fremde zu sich nach Hause einzuladen. Außerdem will ich zum einen niemandem falsche Hoffnungen über einen potenziellen Kauf machen, zum anderen will ich auch einfach kein falsches Interesse am Produkt heucheln müssen. Irgendwie habe ich Mitleid mit diesen Leuten und frage mich, ob irgendeine:r dieser Vertreter:innen wirklich von ihren eigenen Waren überzeugt ist oder ob alle nur hoffen den ganzen Kram abends nicht wieder in ihre eigene Bude schleppen zu müssen.  

Derzeit scheint Füße stillhalten angesagt, vielleicht können sie ja ein paar Kund:innen am Telefon zuhause ein paar gute Deals verschaffen. Aber hoffentlich nicht so, wie es derzeit der Versicherungsvertreter Mehmet Göker macht, der vor Kurzem mal wieder durch ominöse Deals und Telefonterror bei Kund:innen für Negativschlagzeilen gesorgt hat. Er wirbt zwar damit, zahlreichen Mandant:innen die besten Versicherungen vermittelt und im Rahmen seines Mentoring-Programms mehr als 200 Teilnehmer:innen eine neue Chance zu schnellem Reichtum ermöglicht zu haben; letztendlich scheint der einzige Profiteur aber nur Göker selbst gewesen zu sein, der sich auf der Flucht vor deutschen Gerichtsprozessen vor einiger Zeit in die Türkei abgesetzt hat. Seine Kund:innen sowie seine Angestellten sind genervt und um einen Batzen Geld ärmer. Dann doch bitte zumindest einigermaßen ehrlich und ohne Schneeballsystem. 

Ich schaue mir die NDR-Doku „7 Tage…unter Staubsaugervertretern“ in der Mediathek an. Viel Neues lerne ich nicht, irgendwie habe ich mir das Ganze auch nicht aufregender vorstellt als es letzten Endes war. Der Vertreter in der Doku träumt von einem Rentnerleben auf einer eigenen Olivenfarm, sobald seine Tochter in seine Fußstapfen tritt. Nur noch 25 Jahre ackern, bis das Business auf die eigenen Kindern abgewälzt werden kann. 

Ich finde es besonders erstaunlich, dass Kund:innen dazu gebracht werden, die Namen ihrer besten Freund:innen preiszugeben, damit bei denen auch ein Besuch abgestattet werden kann. Da wird die Perplexität und Unwissenheit der Leute schon einfach schamlos ausgenutzt, um neue Interessent:innen an Land zu ziehen.

Nachdem der Reporter eine Woche lang ausprobiert hat wie es ist selbst Staubsaugervertreter zu sein, stuft er das Erlebnis letztendlich als „irgendwas zwischen peinlich und faszinierend“ ein. Klingt wie „Danke, aber nein danke“.

Mein liebstes Zitat aus der Doku war aber: „Wenn Hunde da sind: Hunde absaugen“ – eine der Faustregeln für die beiden portraitierten Vertreter. Je weniger die Hunde sich gegen eine Staubsauger-Föhnfrisur wehren, desto mehr Kohle wird Herrchen und Frauchen wohl auch aus den Taschen gesogen.  Wirklich alles und jede:r wird hier eingelullt. Der Ideenreichtum der Vertreter ist aber durchaus bewundernswert.

Ich erinnere mich an einen Tag als ich klein war, an dem meine Mutter eine Vertreterin für Dampfreiniger eingeladen hatte. Sie zeigte uns, wie toll der Dampfreiniger dampfte und saugte und es schaffte sowohl unsere Wandkacheln in der Küche, als auch den Teppich im Flur in Nullkommanix wieder blitzblank zu bekommen. Ich war tatsächlich erstaunt darüber; so sauber sah unsere Küche wirklich noch nie aus. Meine Mama wirkte ebenfalls begeistert – aber weniger über die Arbeitsleistung des Dampfreinigers als über die Tatsache, dass sie sich gerade die Kosten für eine Putzkraft gespart hatte. Was die nette Vertreterin nämlich nicht wusste war, dass meine Mutter sie nur eingeladen hatte, weil wir die darauffolgende Woche aus der Wohnung ausziehen und für die Rückerstattung unserer Kaution eine saubere Wohnung hinterlassen wollten. Nachdem sowohl Flur und Küche nun wieder blitzten, bedankte sich meine Mutter und sagt der Vertreterin, dass sie sich den Kauf durch den Kopf gehen lassen werde. Würde sie zwar nicht, aber bedanken kann man sich ja trotzdem. Den Reiniger kauft sie danach selbstverständlich nicht. 

So kann man den Spieß also auch umdrehen. 

Manche Vertreter:innen müssen jedoch auch gar nicht so viele Klinken putzen gehen, sondern werden sehnlichst mit offenen Armen empfangen. Ihr Geheimnis ist einfach das Verkaufsspektakel ein weniger feierlicher anzupreisen. Sogenannte „Tupperpartys“ hatten ihre Hochzeit zwar vermutlich schon in den Neunzigern, dennoch boomen sie weiterhin. Anders als bei einem Vokuhila ist hier nämlich „Party in the front, business in the back“ angesagt. 

Sogenannte „PartyManager“ bringen ihre Ware mit, zeigen dir und deinen Gäst:innen sowohl gemütlich auf deiner Couch als auch in der Küche, für welche Zwecke unterschiedliche Tupperware nötig ist und was da alles reinpasst. Ganz nebenbei kriegt man noch tolle Snack-Rezepte vorgekocht, deren Ergebnisse dann direkt in den Vorratsbehältern verpackt werden können. Am Ende der Party wird dann nebenbei der Bestellzettel über die Küchenzeile geschoben. Hier gehen alle glücklich nach Hause. 

Wer zu einem nach Hause kommen soll, ist dabei einem selbst überlassen. Auf der Webseite des Unternehmens kann man ungezwungen alle Profile der PartyManager in der eigenen Umgebung durchsuchen. In Berlin stoße ich dabei auf mehr als 400 tätige PartyManager, die bereit wären zu mir nach Hause zu kommen. Vielleicht sind es auch deutlich mehr, ich wollte mich irgendwann nicht mehr weiter durchklicken. Ihre Provision liegt bei 24% pro verkauftem Artikel, da lohnt es sich also die Werbetrommel zu rühren. 

Alle PartyManager werden hierbei sogar von lokalen Zentralen in den jeweiligen Städten koordiniert. Für mich zuständig wäre wohl die „Tupperware Bezirkshandlung Berlin-Süd“. Das Ganze ist wirklich deutlich besser strukturiert als ich dachte. 

Wer das Unterfangen noch verrückter gestalten will, dem wird der Tipp gegeben, das Event unter ein Motto wie „Schnelle Küche für Muttis“, „BBQ“ oder „Fußball“ zu stellen. Mir persönlich ist das Motto „Tupperparty“ aber auch so schon funky genug. 

Derzeit werden diese Partys übrigens online über WhatsApp abgehalten. In privaten Chat-Gruppen verschicken die PartyManager zwei- bis vierminütige-Erklärvideos zu den Produkten ganz im Influencer-Stil. Auch hier war die Pandemie scheinbar das „Tor zur Digitalisierung“. 

Bei der einzigen tatsächlichen Party dieser Sorte, bei der ich jemals war, wurden keine Brotboxen und Backutensilien verkauft, sondern Sexspielzeug. Die Einladung zu einer dieser „Dildopartys“ hatte ich damals von einer Freundin bekommen, die zwei Stunden entfernt von mir auf dem Dorf wohnte. Sie hatte mich zwar schon nach meiner Adresse gefragt, damit ich auch eine offizielle Einladung der „Dildofee“ per Post erhalten würde, auf die Postkarte wartete ich jedoch vergeblich. Wie sich später herausstellte, hatte mein Mitbewohner sie direkt in den Papiermüll bugsiert, weil er dachte es handele sich um Werbespam. Manchmal holt man sich wohl doch freiwillig etwas Werbung ins Haus, oder lässt sich dazu überreden sie eintreten zu lassen.


Das Unternehmen „Dildofee“ ist laut ihrer eigenen kitschig bunten Webseite einer der ältesten und größten Homepartyvertriebe für Erotiktoys in Deutschland und Österreich. Bei so einem intimen Thema ist es für mich nachvollziehbar, dass Menschen das Ganze in einer geschützten, ihnen vertrauten Umgebung begutachten wollen.

Am Tag der Party fuhr ich mit dem Zug zu meiner Freundin und war die erste Besucherin. Wir waren beide aufgeregt und gespannt, was der Abend so bringen würde.

Mit Sekt und Snacks saßen wir später zu zehnt auf der riesigen Couchlandschaft im Wohnzimmer, während uns die Beraterin, beziehungsweise Dildofee, sämtliche Toys vorstellte. Von Masturbationseiern bis zu Häschenvibratoren war einiges dabei. Die Spielzeuge und Erotik-Duftkerzen wurden dann reihum herumgereicht, jede durfte mal schnuppern, anfassen und sich lachend mit den Sitznachbarinnen über dieses komische „Kugellager“ in einem der vibrierenden Dildos austauschen. Der Abend war eine Mischung aus „oohs“ und „uuuhs“ und „hahahas“. 

Am Ende ging jede von uns mit der Dildofee in einen separaten Raum, um entsprechende Fragen zu den Produkten noch einmal zu klären und sich die Preistabelle für die einzelnen Erotiktoys anschauen zu können. Da mein Einkommen als Studi damals aus Kindergeld und Bafög bestand, war ich auf die Preise für die Toys nicht eingestellt. Vibratoren und Liebeskugeln lagen alle weit über meinem Budget, weshalb ich mich letztendlich dann für ein Massage- und Gleitgel mit Karamellgeschmack für 20 Euro entschied. Irgendwie wollte ich nicht mit leeren Händen nach Hause gehen, aber letztendlich war das Gel überhaupt nichts für mich und meinen damaligen Freund, es schmeckte künstlich süß und war unglaublich klebrig. Keine Kaufempfehlung von meiner Seite, aber hey – jede Jeck is anders. Die größte Erkenntnis des Abends: Scheiße, irgendwie bin ich doch prüder (und ärmer) als ich dachte. 
Unangenehm war mir der gesamte Abend nicht, ganz im Gegenteil. Mit 20 Jahren hatte ich zuvor selten so frei über Sex allgemein, geschweige denn über mein eigenes Sexleben mit Anderen geredet. Obwohl ich nur die Gastgeberin kannte, war das irgendwie spannend und befreiend.  Mittlerweile ist es für mich normal über Sexualität zu reden und wenn der Grund dafür eine Dildoparty war, dann ist das eben so.  Gar nicht peinlich und durchaus faszinierend.