Rapvideowerbespots als ideologisches Amalgam
von Charlie Bendisch
Im Deutschrap verschmelzen Musik- und Werbevideos momentan auf unangenehme Weise. Doch was ist so problematisch an den Kooperationen zwischen Haftbefehl & Jägermeister oder Nimo & Milka? Und in welchem Verhältnis stehen Musikvideo und Werbeindustrie ganz grundsätzlich? Von Charlie Bendisch
Musikvideos über Werbung
Musikvideos sind seit ihrer Entstehung eng verflochten mit der Werbeindustrie. Als Paratext zum musikalischen Produkt fungieren sie selbst als Werbeträger. Videoauskopplungen begleiten häufig als Vermarktungsvehikel die Veröffentlichung eines Albums.
Gelegentlich nehmen Musikvideos auch explizit Bezug auf die Ästhetiken der Werbung. Bei dem Video zu „Big Me“ (1996) von den Foo Fighters wird beispielsweise der übertriebene, „grausame Optimismus“ und das artifizielle Spiel der Protagonist:innen in Mentos-Werbespots parodiert und ad absurdum geführt.
Angèle karikiert dagegen in „Oui ou non“ (2019) die Gleichförmigkeit und die verkrampfte Unbeschwertheit der meisten Werbeclips, indem sie die prototypischen Szenerien nachstellt und sie ins Chaos gleiten lässt. Die im Songtext ausschraffierte Unsicherheit enthüllt währenddessen die Brüchigkeit der präsentierten Gefühlsarchitektur.
Beide Videos räumen mit den Annahmen und Scheinantworten auf, die Werbeclips im Allgemeinen ausbilden und zementieren.
Bereits die Talking Heads betonten in „Love for Sale“ wie sehr die Warenwelt und der Konsumismus in unsere Lebensbereiche vordringt und beispielsweise unsere Idee von romantischer Liebe konturiert. Im Video synchronisiert sich die Band mit den Bewegungen der beworbenen Objekte und wird schlussendlich mit Schokolade übergossen und verspeist.
Anders wird die Vereinnahmung durch Werbung im Video zu George Michaels „Killer / Papa was a rolling stone“ visualisiert. Einzelne Worte des Songtextes werden schlagwortartig in Werbeslogans umgemünzt und schieben sich dynamisch ins Bild. Jedes Wort wird seiner Bedeutung entrissen und in eine Verwertungslogik überführt. Dabei verlieren sie ihre Substanz und verwandeln sich in qualitätslose Zeichen.
Die Warenwerdung von Musiker:innen bildet auch im Rap schon immer eine der beliebtesten Angriffsflächen. Bereits Tupac musste sich mit Sellout-Vorwürfen herumschlagen. THUG LIFE sei nur eine Marke, die sich gut verkauft und er sei gepimpt von der Musikindustrie waren die Vorwürfe. Er werde doch nur von denen protegiert, weil sich dieses Image momentan gut verkauft. Dieser Selbstwiderspruch des Erfolgs lässt sich kaum entwirren. Aber die Kommodifizierung kann noch viel eindeutigere Dimensionen annehmen.
Das Musikvideo als Werbefläche
Die Vermarktung im Rap oszilliert seit jeher zwischen zwei zentralen Erzählungen des Games – Auf der einen Seite die Aufsteiger:innengeschichte, in der Geld machen Element und Motor einer Loslösung von den Ketten der Dominanzkultur darstellt. Auf der anderen Seite das Diktum Hip-Hop sei „die einzige Mucke, wo man das was man sagt auch verkörpern muss“ (Megaloh, 2013) und das deckt sich häufig nicht mit der instrumentalisierten Figur eines Werbekörpers. Somit versuchen Werbespots häufig die Biografien der Rapper:innen als Material nutzbar zu machen und verschalten ihr Produkt mit der Aufstiegserzählung und den biografischen Wunden ihrer Werbefiguren. So thematisiert A$AP ROCKY in einem Mercedes-Spot beispielsweise den Tod seines Bruders. Der Erzählung zufolge eine Erfahrung, die für ihn einen Wendepunkt darstellte und woraus er neuen Antrieb schöpfte – heute fährt er Mercedes. Abgerundet wird dieser Du-kannst-es-schaffen-Mythos inklusive plastischem Drama dann in einem Dreiklang mit dem karrieristischen Imperativ „Grow Up – Get a job – Drive“. Rockys Lebensgeschichte wurde somit einfach dem Mercedes-Paradigma einverleibt.
Der einzige Rapper, der den vermeintlichen Widerspruch zwischen Authentizität und Werbefigur aufhebt, scheint XATAR zu sein, der sich schon lange primär als Geschäftsmann inszeniert. Der Zweck heiligt bei ihm immer schon die Mittel, daher beißt es sich nicht mit der Realness, wenn in „Hrrr“ nicht nur die Meme-haften Zeilen in eine Weiterverwertung eingebunden sind, sondern auch das Video diverse Vermarktungsregister zieht, eine ganze Produktpalette prominent platziert und 30 Sekunden lang XATARS Albumbox beworben wird. Das Flattern der Geldzählmaschine wird zum herrschenden Mantra.
Die Verschmelzung von Musik- und Werbevideo scheint sich hier vollendet zu haben, ohne am Markenkern von Xatars selbstironischem Unternehmergeist zu kratzen. Ähnlich wie bei Capital Bras Eistee-Produkt BRATEE oder Yung Hurns Ketchup amüsieren sich die Rapper selbst über die banale Marktlogik, in der jedes noch so unnötige Produkt in die Hype-Maschinerie eingespeist werden kann. Auch K.I.Z. bedienen sich den eindimensionalen Effekten der Aufmerksamkeitsökonomie, indem sie für ihre „Rap über Hass“-Tour Cat Content im Komplementärkontrast plakatieren.
℗ A Vertigo/Capitol release; 2021 K.I.Z, under exclusive license to Universal Music GmbH
Noch transparenter und unverhohlener als Xatar nutzen bloß Zugezogen Maskulin ihr Musikvideo als Werbeplattform. In „Der Erfolg“ konnte sich ab 2€ jede Person oder Firma im Video verewigen und somit Zugriff erhaschen auf das Werk der Künstler. Entstanden ist eine diffuse Collage mit disparaten Schnipseln aus privaten und gewerblichen Sphären. Sellout wird beim Video von ZM zum Exzess, die Vermarktung akzeleriert um sie zu entblößen. ZM rechnen in ihrem Song mit schiefliegenden Entwürfen von Erfolg und Distinktion ab, verhandeln persönliche Entfremdungserfahrungen, die durch das Streben nach Nieschenfame und Geld hervorgebracht wurden. Die Konsequenz aus dieser Vermarktungspotenz ist die Selbstauflösung – die Kunst wird beliebig und gestaltlos.