von Alina Fetting
In „A NEW VOYAGE ROUND THE WORLD“ (2019/2020) verwendet die slowenische Künstlerin und Absolventin des TransArts-Studiums an der Angewandten Universität in Wien, Lara Reichmann, Google Maps, Logbücher der Schifffahrt, alte Erzählungen und Marketingvokabular, um eine Arbeit über Phantominseln zu collagieren. Reichmann arbeitet in der Regel mit digitalen Bildern, die sie aus verschiedenen virtuellen Karten oder von verschiedenen Satellitenknotenpunkten bezieht. Sie transformiert sie dann in eine analoge Form und versucht, diese digitalen Bilder in unseren physischen Raum einzubinden. Das kann eine Skulptur, eine Rauminstallation oder, wie im Fall von „A NEW VOYAGE ROUND THE WORLD“, ein Katalog sein, der wie der eines Immobilienbüros aussieht.










Deine Arbeiten beinhalten oft eine Art geografischen Aspekt, sei es mit Grenzen oder Karten – warum fasziniert dich das, hattest Du schon immer ein Interesse an Geopolitik?
Lara: Ich habe mich schon immer stark zu geopolitischen Themen hingezogen gefühlt. Ich erforsche diese Verbindungen zwischen dem Territorium und seiner Darstellung auf verschiedenen Ebenen. Wie wir den Raum wahrnehmen, basierend auf diesen Medien, Karten, Grenzen, manchmal sogar Volksgeschichten. Die Vorstellungen von Territorium, die uns beigebracht wurden, die Idee von bestimmten Orten, die uns auferlegt wurde. Meine letzten Projekte setzten den Fokus stark darauf, welche Schichten des physischen Raums in diesen Medien sichtbar gemacht werden und welche unsichtbar bleiben. Wenn ich mit Google-Maps-Bildern arbeite, geht es in vielen Fällen darum, mit den Bildern eines bestimmten Gebiets zu spielen und sie zu verändern.
Welche Assoziationen hast Du zu Inseln?
Lara: Für mich haben Inseln eine doppelte Bedeutung: Einerseits denke ich automatisch an das Paradies, an verlassene Inseln, die mit der westlichen Vorstellung von exotischen Inseln und der Erforschung von etwas Neuem verbunden sind. In der Literatur, beispielsweise bei Robinson Crusoe oder dem Herrn der Fliegen, verkörpert die Insel die Idee des Paradieses, aber sie hat ihre eigene Art zu funktionieren. Neuankömmlinge müssen sich anpassen um zu überleben, sie etablieren eine ganz neue Hierarchie auf der Insel.
In meiner Arbeit interessiert mich die Ambivalenz zwischen diesem säkularen, exotischen Paradies, in dem man sich von der Gesellschaft entfernen kann, und dieser sehr invasiven Politik der Errichtung eines neuen Territoriums.
Heutzutage werden mehr und mehr künstliche Inseln erstellt. Da denken viele zuerst an Dubai mit seinen Luxusimmobilien, die für den Urlaub oder für Investitionen gebaut werden, aber dann gibt es auch Länder wie China, die Betoninseln bauen, die auch als Militärbasis dienen. Nach dem Seerecht gibt es einen Teil des Meeres, der dem Land gehört, Hoheitsgewässer, und der Rest sind internationale Gewässer. Neu errichtete Inseln erweitern nicht automatisch das Gebiet, über das ein Staat Hoheitsgewalt hat, aber werfen zumindest die Frage auf, was das für die internationalen Gewässer bedeutet, wer hat das Recht über das Gebiet zu bestimmen usw., aber vielleicht hat das nicht mehr viel mit Inseln zu tun.
Dieses neue Phänomen der künstlichen Inseln ist in gewisser Weise das genaue Gegenteil der Phantominseln. Kannst Du uns sagen, was Phantominseln sind und wie Du auf sie gestoßen bist?
Lara: Ich glaube, es war, als ich in einer Wikipedia-Spirale war. Es handelt sich um Inseln, die zwar auf Karten verzeichnet sind, aber nie existiert haben.
Das Phänomen trat vor allem zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert auf, also in der Zeit der großen Entdeckungen, als die „Neue Welt“ erforscht wurde und viele neue Karten erstellt wurden. Manchmal waren es Irrtümer, manchmal wurden sie absichtlich erfunden. Seefahrer oder Entdecker wurden meistens nach der Menge des neu entdeckten Landes bezahlt, also erfanden sie sie manchmal einfach, um Geld zu verdienen oder nur um der Geschichte willen. Sie erzählten diese abenteuerlichen, extravaganten Geschichten über das neue Land und hatten oft eine sehr exotische Vorstellung davon, wie die Bewohner:innen oder das Land aussehen sollten. Diese Inseln wurden dann auf den Karten eingezeichnet. Manchmal fügten die Kartenmacher auch einfach eine falsche Insel als Wasserzeichen auf einer Karte ein, um zu verhindern, dass diese kopiert wurde. Wenn jemand anderes ihre Karte ohne ihre Genehmigung stehlen würde, wüssten sie, dass dies illegal geschah.
Es gab dementsprechend all diese verschiedenen Gründe, warum diese Inseln auf der Karte auftauchten, und sie kollidierten mit bereits existierenden Geschichten, von denen die Menschen mal gehört hatten, und sie brachten sie mit diesen „neu-entdeckten“ Orten in Verbindung. Dann gab es eine Verschmelzung von Geschichten und Legenden mit der Realität. Manchmal waren es auch einfach nur Irrtümer. Aufgrund dieses Kartenherstellungsvorgangs und weil meistens keine reelle Möglichkeit bestand, zu überprüfen, ob die Inseln existieren oder nicht, wurden sie oft über Hunderte von Jahren einfach Teil des Systems. Eine von ihnen, die Insel Sandy, wurde sogar in Google Maps aufgenommen , weil beim Scannen des Gebiets eine digitale Panne auftrat und die bereits existierende Geschichte der Insel damit verbunden wurde. Ich denke, für mein Projekt war das Thema insofern interessant, als dass es ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie ein auf Karten dargestelltes Gebiet wirklich seine eigene Geschichte hat, unabhängig von den physischen, reel existierenden Gebieten.
Du hast dich für die Präsentation in Form eines Katalogs entschieden und die Idee einer (fiktiven) Agentur mit dem Namen „A NEW VOYAGE ROUND THE WORLD“ in den Raum gestellt. Warum hast Du dich für diese Form entschieden?
Lara: Ich habe mich gefragt: Wie erzählt man eine Geschichte? Wie stellt man etwas dar, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt?
Ich bin auf diesen Seiten von Luxusimmobilienagenturen gelandet, auf denen es zahlreiche Anzeigen für verschiedene Immobilien gibt, und mir gefiel, wie sie alles auf eine sehr pompöse Art und Weise beschreiben, alles wirkt erhaben und übertrieben. Ich bin wirklich in die Sprache eingetaucht. Ich wollte nichts Neues schaffen, nicht ein bestimmtes Bild aufbauen, sondern einen Anstoß geben, damit der:die Betrachter:in sich selbst vorstellen kann, wie diese Inseln aussehen sollten. Ich habe sogar ein paar Agenturen gefunden, die mit echten Inseln handeln, die man kaufen kann. Es ist wirklich bizarr, dass jemand, der genug Geld hat, es sich leisten kann, eine Insel zu kaufen. Es funktioniert anders, wenn man ein Stück Land kauft, weil eine Insel von Natur aus schon eine kleine Einheit ist, losgelöst von allem anderen, so dass man in ihrem Inneren wirklich eine Art Mikrokosmos schaffen kann. Bei der Phantominsel ist diese Idee noch weiter getrieben, denn es gibt sie nicht, sie könnte aber gerade deswegen alles sein. Letztendlich ging es darum, mit dieser Marketingsprache zu spielen und sie sich anzueignen und zu versuchen, eine bestimmte Atmosphäre oder das Gefühl von etwas zu schaffen, das es nicht gibt. Ich habe eine Mischung aus allen Daten, Informationen und Geschichten über die Inseln verwendet, die ich finden konnte, und sie in das Layout einer Immobilienagentur integriert.
Jeder „Fakt“, den Du über das Medium der Agentur präsentieren, ist also ein „Fakt“, den es schon gab, Du also nicht selber erfunden hast?
Lara: Tatsächlich sind alle „Fakten“, die genannt werden, wahr. Einiges konnte ich im Internet finden, anderes fand ich in Artikeln oder in echten Bordbüchern. Um diese Inseln ranken sich oft eine Menge Legenden, aber durch das Internet konnten sich die Beschreibungen bestimmter Insel nur umso mehr etablieren. Ich habe keine Informationen erfunden oder hinzugefügt, die nicht bereits in der einen oder anderen Form veröffentlicht worden wären. Ich wollte sie objektiv sammeln. Die Struktur der Anzeigen ist eine Sammlung von verschiedenen Marketing-Phrasen, die ich auf Immobilienplattformen gefunden habe und ich habe es so zusammengefügt, dass es zu einer bestimmten Art von Inseln passt. Denn es gibt einen Unterschied, ob es sich um tropische oder arktische Inseln handelt, man kann sie nicht auf dieselbe Weise verkaufen. Außerdem ist der Titel eigentlich der Titel eines „Bordjournals“, also ist wirklich alles mehr oder weniger collagiert.
Ich bin fasziniert von Google Maps und Google Earth, das ist ein sehr mächtiges Werkzeug. Als ich überlegt habe, wie ich die nicht-existierenden Inseln darstellen könnte, kam ich auf die Idee eine Katalogs, denn das bietet die Möglichkeit einer sehr visuellen Darstellung. Also habe ich die Koordinaten gegoogelt, wo die Insel hätte sein sollen, und dann einen Screenshot vom Meer gemacht. Wenn man die Insel ausschneidet, ist es das Meer von Google Maps, denn natürlich ist sie nicht wirklich da – und so wird es am Ende zu einem sehr abstraktem Nichts.
Das Projekt wird in Form einer Installation im Rahmen von Reichmanns Einzelausstellung „26° Süd“ zwischen dem 1.10. und 22.10. in Hiša kulture in Pivka (SLO) zu sehen sein. Hier findet ihr Lara Reichmann’s Instagram.
