Miss Berger

Wenn Werbung nicht als störend empfunden wird. Ein persönlicher Einblick hinter die Faszination zu Werbeobjekten. Von Alina Fetting

Ein altes Persil-Blechschild als Dekoration im Badezimmer oder ein Retro-Tablett von Coca-Cola, ob Vintage vom Flohmarkt oder neu hergestellt aus dem Dekoladen, Werbeobjekte aus vergangen Jahrhunderten scheinen für viele eine besondere Anziehung zu haben. Auch ich benutze eine Martini-Karaffe aus den 1960er Jahren als Kerzenständer und ein Berger-Krug als Vase und verbinde mit ihnen einen emotionalen Wert, auch weil sie Geschenke meiner Mutter sind. Diese nämlich verkauft französische Werbeobjekte seit mittlerweile über 40 Jahren, kann einem häufig Erscheinungsjahr, Model und sogar Designer:in verraten. Sie weiß was sich verkauft und was nicht. Deswegen habe ich sie gefragt: wie kommen diese Objekte in unsere Wohnungen? und beeinflusst einen die Werbung dort dann nicht weiterhin? Woher rührt diese Faszination bei den Kund:innen und wie kam sie selbst dazu?

Catherine – meine Mutter – zog 1975 von Paris nach Berlin. Sie übernahm dort eine kleine Wohnung, die von Handtüchern bis hin zu Möbeln komplett ausgestattet war. Um das Geld der Übernahme wieder einzuholen und die ungewünschten Objekte loszuwerden, fuhr sie ins Auktionshaus und auf Flohmärkte. Sie kam aber nicht mit leeren Händen wieder nach Hause. Sie kaufte Bücher und Werbeobjekte, um diese beim nächsten Flohmarkt selber zu verkaufen. Bei Heimatbesuchen schlenderte sie über die Flohmärkte der Pariser Banlieues. Schnell bemerkte sie, dass die deutsche Klientel großes Interesse an ihre aus Frankreich importierten Blechschilder, Karaffen und Aschenbecher hatte, die mit den Namen von Aperitif-Weinen oder Zigaretten-Marken versehen waren.  

Das hat für Catherine mehrere Gründe: Es sei unter Deutschen eine gewissen Frankophilie verbreitet, oft verbunden mit der Nostalgie vergangener Urlaube; morgens das Zeitungslesen auf der Café-Terrasse, mittags das gute Essen im Bistrot, abends dann das Apéro in Gesellschaft von Freund:innen oder Fremden in der Bar.
Und genau an diesen Orten wurden diese Objekte bewusst platziert. Sie sind keine sogenannten „Goodies“, die ein Unternehmen an Kunden verschenkt. Sie waren im Übrigen auch nie für den Verkauf angedacht, sondern wurden den Händler:innen und Gastronom:innen bei Warenlieferungen mitgegeben. Von Bezahlschüssel bis hin zu Wanduhren gab es da eine ganze Bandbreite an Objekten, aber am häufigsten Karaffen, Aschenbecher und Gläser. Auf die Bar gestellt und an alle Tische verteilt, kamen sie so mit den Kund:innen in Berührung – die Markennamen ständig im Blickfeld. Und weil an diesen Orten vor allem Getränke verkauft werden, sind die Aschenbecher tatsächlich viel häufiger mit Getränke- als mit Zigarettenmarken versehen. Auch die Karaffen sind lediglich für Leitungswasser angedacht und sollen erst den Durst auf das beworbene alkoholische Getränk wecken. Und wer kriegt dann nicht Lust auf eine Orangina, ein Perrier oder ein Pernot, wenn er:sie sich schon an dem Ort des Konsums befindet und das Getränk nur ein „Garçon!“-Ruf entfernt ist?

Das gefalle ihr an den Objekten so sehr, erzählt mir meine Mutter, dass sie eine Vorgeschichte haben, nicht direkt aus der Fabrik oder dem Museum kommen, sondern schon mit vielen Menschen, Orten und Geschichten in Berührung gekommen sind, bevor sie in ihre Hände gelangt sind. Auch Kunst- und Designgeschichte, die letztendlich immer ein Spiegel der Gesellschaft ist, könne man an den Objekten ablesen. Die Unternehmen stellten berühmte Designer:innen und Graphiker:innen ein – unter ihnen Loupot, Cappiello, Savignac -, die dann, im angesagtem Jugendstil oder Art-Deco-Look, Logo und Form entwickelten. Die deutschen Werbeobjekte hingegen blieben oft bieder. Überwiegend in Brauntönen gehalten, fehlte es ihnen oft an Humor und Pfiffigkeit, weswegen sie sich nicht gut verkaufen ließen.

„Werbung hat mich nie interessiert“, sagt sie, und meint damit den Mechanismus der dahinter steckt, Menschen mit Botschaften zum Kaufen zu bringen. „Für mich waren die ästhetische Seite der Objekte und die Entwicklung der Werbung, die Geschichte, die dahintersteckt interessanter: wie verändert sich ein Objekt im Laufe der Epochen, und wie bekommt es die Formen, die zu der Epoche korrespondieren? Woran erkennt man aufkommende Modernität?“ (Zum Beispiel an bestimmten Materialen, die Nutzung von Porzellan zu Plastik oder von bestimmten Farben.) „Mit welcher Begründung werden diese oder jene Projekte oder Produkte in den Vordergrund gestellt? Wieso waren manche Produkte vor 50 Jahren sehr wichtig und heute nicht mehr?“

Der Nierentisch-Aschenbecher

In den 1970er Jahren wurde Rauchen gesellschaftlich immer verpönter, man stellte die Aschenbecherproduktion ein. Gleichzeitig wurde immer mehr Werbung im Fernsehen, Radio, öffentlichem Raum geschaltet, sodass die Werbeobjekte eine zunehmend kleinere Rolle bekamen. Aber dadurch wurden die Objekte noch seltener und die Nostalgie danach wuchs.

Für viele Käufer:innen seien es einfach Kunst- oder Kulturobjekte, sagt Catherine. Es gäbe auch Sammlerseelen, die einfach nicht mehr mit dem Sammeln aufhören können. Auf dem europäischen Markt sind je nach Jahrgang, Model und Marken Preise zwischen 1€ und 500€ zu finden. Die meisten bewegen sind jedoch zwischen 10€ und 40€. Für Sammler:innen oder Kunstliebhaber:innen ist es also auch die Gelegenheit, ein Kunstobjekt zu besitzen, das erschwinglich ist und gleichzeitig wenig Raum einnimmt.

Miss Berger Blechschild

Vom Flohmarkt hat sie auch viele Geschichten zu erzählen. Einmal kam ein Kunde zu ihr, sagt Catherine, und kaufte einen Aschenbecher von Cinzano in Nierentischform, eine typische Form der 60er Jahre. Er erzählte ihr, dass es ein Geburtstagsgeschenk sei für einen befreundeten Architekten. Ein paar Jahre später kam er wieder an ihrem Stand vorbei und erzählte, der Freund habe beim Nachdenken über einen Wettbewerbsentwurf auf den Aschenbecher geschaut und dieser habe ihn zu der Form des Gebäudes inspiriert. Den Wettbewerb habe er gewonnen.

„Was kostet die Braut?“ fragte ein anderer Kunde und wies auf ein Blechschild aus den 1950er Jahren, ihm gefiel wohl das darauf abgebildete Pin-Up Girl, das in der Hand das französische Aperitif „Berger“ bewirbt. Was er vermutlich nicht weiß: bevor meine Mutter diese besaß, kaufte sie diese wiederum einer Nonne auf einem Flohmarkt in der Nähe von Paris ab. Es gibt viele Gründe, warum Menschen von diesen Werbesachen angezogen sind, aber die Liebe oder Identifizierung zur Marke ist nur eine davon.

Werbung, die einen ästhetischen, praktischen oder nostalgischen Wert hat, kann sich von der eigentlichen Werbeintention scheinbar lösen. Durch Materialen wie Porzellan, Glas und Blech besitzt sie gleichzeitig eine gewisse Nachhaltigkeit. Doch diese Werbung ist heutzutage kaum noch aufzufinden.

Eine letzte Frage habe ich dann noch: ob sie denn selbst von der Werbung beeinflusst worden sei?
„Gar nicht“, antwortet sie, „ich bin keine gute Konsumentin. Aber manchmal war ich so davon umgeben und mit der Werbung beschäftigt, dass ich beim Einschlafen drehende knallige Aschenbecher von Ricard gesehen habe.“

Fotos: Catherine Raoult