Allein auf der Insel der Hyänen im Mittelmeer, September 2025

von Nadin

für Circe

Allesamt Hyänen gewesen. allesamt. Ihr hysterisches Lachen schallte durch die fahle Nacht, die verwesten Knochen warmblütiger Büffel zermahlten sie zwischen ihren gehässigen Zähnen. 

Knack, knack, knack. 

Das Geräusch ertönte in völliger Disharmonie zum gewaltsamen Zischen der Meereswallungen, welche sich am Ufer des Kiesstrandes labten. Mir war, als wäre ein Schlangenknäuel angespült worden. 

Eine Hyäne träumte von Aufrichtigkeit und dachte, es sei etwas anderes. 

Eine andere träumte vom großen Verrat und dachte, dieser sei Liebe. 

Die Letzte träumte vom Sieg und dachte, es sei Stärke. 

Ihre perfide Einsamkeit im Rahmen des animalischen Gefüges nahmen sie nicht wahr.

Doch schlussendlich träumten sie, und das machte sie zu diesen verletzlichen Wesen, denen ich nur ein mildes Lächeln schenken konnte, wenngleich  ich den Hyänenspeer phantomschmerzartig in meiner Faust spürte. Doch in ihrem Gegacker lag so viel Menschlichkeit, dass es mir schwerfiel, ihnen ein Ende zu setzen. Sie waren menschlicher als wir. Und das tat mir sehr leid für sie. Und die Irrtümer, denen sie unterlagen, welche für sie Linderung bedeuteten und die Verachtung aus mir herauskitzeln wollten, die Irrtümer ließen mich so ein großes Mitgefühl empfinden, als hätte ich diese Hyänen geboren, als hätte ich sie geformt aus meinem eigenen Fleisch, als hätte ich sie mir aus den Rippen geschnitten, die meine Organe schützten. 

Sand in den Schuhen , du bist der Sand in meinen Schuhen. 

Es tat mir weh, dass sie um ihre Hässlichkeit nicht wussten, tat mir weh, dass sie so unvorbereitet waren einem anderen gegenüber, der keine Wärme empfinden könnte bei ihrem grotesken Anblick. Sie erinnerten mich an Medusa, als seien sie höchstpersönlich ihrer Brust entsprungen, wie es einst Pegasus tat, trauriger Pegasus mit gebrochenen Gelenken. Medusa, die Gestrafte, für das Leid, welches ihr widerfuhr. Medusa, griechische Schwester von Do’kamissa, Büffelfrau, Hexe, Geplagte von der Liebe zum Vater, der sie verstieß. Ihre Seele suchte nur ihn und meinte, ihn im Moor zu finden. Wenn die Luft nicht mehr bis zur Lunge kommt und es ein bisschen dämmrig wird vor Augen, ja, das muss wohl die Umarmung eines Vaters sein, es kommt zumindest am nächsten heran an diese Vorstellung. Schmerz ist Normalität in dieser Liebe, diese konstante Angst vor Verlust. Torment, sagt man im Englischen. Treffender kann man es nicht ausdrücken.

Ich dachte mal, ich hätte eine Gefährtin, eine Gepardin, mit tiefen schwarzen Furchen im Gesicht, Jadetränen einer versunkenen Liebe. Nur bei Nacht kam sie zu mir, dort, wo der Mond sein voyeuristisches, von der Sonne gestohlenes Licht nicht hinwarf. Der Verrat lag nicht darin, dass sie eines Tages nicht wiederkam. Der Verrat lag darin, dass ich im Morgengrauen versuchte, ihre Spuren zu lesen, diese Spuren aber an die Pfoten einer Hyäne erinnerten. Der verrat lag auch darin, dass ich sie trotzdem gern bei mir gehabt hätte. Trotz dessen. Doch in all ihrer Misere bewahrte sie mich durch ihre Scham vor dem, was Gift ist für unsereins: Sich mit Lügen zufriedengeben. Und sie musste lügen, es lag in ihrer Natur. Meine Kleine, Kleine, hättest du mir doch nur deine wahre Fratze offenbart, es wär mir einem Engelsgesicht gleichgekommen. Dein Verlust ist mein Gewinn. Ich wünschte dennoch, es wär umgekehrt.

Zum Trost lese ich heute verstörende oder einfach nur bizarre Kurztexte aus dem Buch Inselnachttraum. Insel bedeutet wohl Einsamkeit auf irgendeiner Sprache.

„Ein Mensch, der beißt dir in die Hand, und du erkrankst an Tetanus, hältst Tetanus für Liebeswahn, Muskelzuckungen für die Kraft der Schmetterlinge im Bauch, die wie Windräder wohl Energie umwandeln.

Ein Mensch, der ist ein Wolf im Lammpelz –  kleines Lämmchen, das  willst du schützen vorm bösen Schlachter, doch da holt das Lämmchen sein Schlachtmesser und zieht es dir frohlockend durch die Kehle. Deine Kehle, lange schon trocken, deine Kehle, kein Blut, nur Tränen, ah, das gibt keine Sauerei. Du Lämmchen du dummes, ich bin ja schon tot. Das waren die Inselvampire. Die haben mich ausgesaugt. 

Kleines Lämmchen, du bist jetzt ein Hammel. dein Duft hat nichts mit Maiglöckchen gemeinsam. Deine Geräusche sind keine Symphonie der Zärtlichkeit. Eher Hyänenkauerei. Deine Wolle ist schmerzlich wie Maschendraht. Die löst bei mir allergische Reaktionen aus. Bist trotzdem mein Lämmchen. Du wusstest nicht, was ein Messer ist. Hast in deinem Leben Blut noch nie gesehen. Hast aber einen brennenden Durst danach, was? Wann hat die Inselfledermaus dich gebissen, du kleines Wesen? Oder war es deine Mutter, die dich zum Waisen eines Wolfs machte?

Du Hammel, du kennst keinen Himmel. Du kennst nur hier oder da. Gras oder Beton. Zaun oder Fluss. Ich bin ein stolzes Inselpferd. Mein Galopp bedeutet dir nichts. Meine Mähne im Wind ist für dich nur eine Randerscheinung. Der Klang meiner Hufe ist kein Versprechen des Vertrauens (s. Fuchs im kleinen Prinzen) . Du kennst mich leider nicht. Dein Blick ist immer nur auf Schweine gerichtet. Die kannste bezizren. Die sind auf Augenhöhe, denkste dir, hast meine Augen gar nicht gesehen, denkst, ich bestehe aus Hals. Die Schweine, sie haben Geschmack für Delikatessen, Kartoffelschalen, Bananenschalen, Erdnussschalen, so eine diverse Welt der Inselkulinarik!

Ein einsames Pferd packt die Lasagne in den Kühlschrank, für die du keine Wertschätzung haben kannst. Perlen vor die Säule, sagt man. Ein liebendes herz vor den Hammel, sag ich. Leider.“

Keine Zeit mehr für Irrsinn jetzt. Bald wachen die Seepferdchen auf. Dann muss alles wieder an seinem Platz stehen. 

Die Hyänen zermahlten verweste Knochen mit ihren halbstarken Kiefern. Mein phantomschmerzartiger Hyänenspeer fühlte sich inzwischen an wie eine Granate. Selbstmordkommando. Der Zünder liegt in meinem Herzen begraben. Zu ihrem Glück kann ich es heute nicht finden.