Ständig sehe ich Dinge, die versprechen, mein Leben auf irgendeine Art besser zu machen. Gerade in einer Zeit, in der die Auswahl im Pastaregal zu den abwechslungsreichsten Aktivitäten der Woche gehört, ist die Verlockung von Dingen – finde ich – besonders groß. Als könnten Dinge; Produkte das aktuelle Sein irgendwie vollständiger machen, als wäre da ein Loch, dass sich durch Dinge stopfen ließe. Und irgendwas gibt es ja immer, was man wollen könnte.
von Ayla Städler
Dinge bleiben im Gedächtnis, wenn sie in einen emotional erregenden Kontext gelegt sind. Wenn ein Produkt eine Lebenswelt assoziiert, die man selbst gerne leben würde, wird ein Verlangen damit verknüpft. Dafür kann ein Produkt mit einer Stimmung oder einem Gefühl verbunden werden. Das ist der Grundgedanke der Werbepsychologie und die Basis, auf der Marketing und Werbung funktionieren. Hauptsache ist, dass die Zielgruppe sich in ihren Bedürfnissen angesprochen fühlt. Dabei muss das Bedürfnis auf den ersten Blick absolut nichts mit dem Produkt zu tun haben.
Der neue Schreibtisch würde dich produktiver, die Schuhe erfolgreicher machen und die Einbauküche vom Möbelgiganten würde automatisch bedeuten, du hättest dein Leben im Griff, inklusive Ehemann, anderthalb Kindern und Haus mit Vorgarten. Die Bettwäsche katapultiert dich direkt in den Urlaub und ohne diesen neuen Topf kannst du definitiv nicht leben, sonst hast du was verpasst. Egal, wonach ein Mensch sich sehnen kann, es gibt garantiert ein Produkt, das genau dieses Leben verspricht. Hat man dann eins dieser Dinge, gibt es das Nächste zu wollen.
So versetzen zum Beispiel Autohersteller ihre potenziellen Kunden in nervenaufreibende Offroad-Landschaften, oder zeigen den glücklichen Familienausflug. Je nachdem, wer die Zielgruppe darstellt.

Eine sehr gezielte Form, werbepsychologisch Aufmerksamkeit auf ein Produkt zu lenken und gleichzeitig die Zielgruppe klar zu definieren, ist das sogenannte Gendermarketing. Erstmal bedeutet das nichts weiter, als dass Marketingexperten auswerten, auf welche Zeichen und Reize heteronormativ männliche oder weibliche Menschen besonders reagieren. Dann wird die Werbung an diese genderspezifischen Vorzüge angepasst, um einen emotional erregenden Kontext für das Produkt zu schaffen. Interessanterweise bedeutet das in der Regel für die männliche Zielgruppe einen sexualisierten Kontext – also zum Beispiel nackte Körper – , für die weibliche Zielgruppe einen emotionalen Kontext – also zum Beispiel eine Szene, die ein positives Lebensgefühl vermittelt.
Heute hatte ich eine besonders attraktive Empfehlung in meiner eBay- Kleinanzeigen Vorschlagsliste: „Polohemd in Rosa“ hieß es da. Was will der Algorithmus mir damit sagen, fragte sich mein morgenmüdes Hirn. Doch dann, Verwirrung. Produktfoto und -titel passen irgendwie nicht zusammen. Auf dem Bild ist ein ziemlich sicher weiblicher Po. Braun gebrannt und irgendwo oben, bei den Schulterblättern, ein rosa Oberteil. Geschaltet hat die Anzeige Ralf G. aus Deutschland. Ich denke nicht, dass das auf den Fotos sein Körper ist. Aus einem Impuls heraus klicke ich das Foto an. Und siehe da: eine ganze Bildergalerie, deren Mittelpunkt der immer gleiche Po bildet, immer in etwas anderer Perspektive und immer ist irgendwo im Bild, eher am Rand, auch das rosa Oberteil zu sehen.
Ich bin mir zugegebenermaßen nicht sicher, ob es tatsächlich das Polohemd ist, das hier verkauft werden soll. Wenn dem aber so ist, ist dies ein perfektes Beispiel für Gendermarketing. Für mich lag der sogenannte „emotional erregende Kontext“ wohl eher in einem spontanen „Was zur Hölle?!“. Davon abgesehen habe ich genau so reagiert, wie ich sollte. Ich bin auf das Produkt (zumindest das betitelte) aufmerksam geworden und die Anzeige geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Im Zuge des Gendermarketings werden oftmals vor allem Frauen sexualisiert und objektifiziert. Durch Vergleiche, Darstellungen von Abhängigkeitsverhältnissen und die Reduzierung der Person auf den weiblichen Körper oder bestimmte „typisch weibliche“ Eigenschaften, bedient man Klischees, die die Aufmerksamkeit der heteronormativ männlichen Zielgruppe wecken sollen. Das ist – meiner Meinung nach – kein bedauerlicher Zufall, sondern systematischer Sexismus und Misogynie unter dem Deckmantel des Kapitalismus. Als ginge es nicht anders.
Schaut man sich im Stadtbild um, ist das absolut keine Seltenheit. Viele Produkte werden mit leicht bekleideten Körpern beworben. Manchmal ist das okay, manchmal aber sind diese Körper in keinerlei Beziehung zum Objekt und manchmal dienen sie ausschließlich der Sexualisierung eines Produkts. Genau wie in dem oben genannten Beispiel sind die Körper und deren Nacktheit dazu da, die Aufmerksamkeit anzuregen. Oft geht das aber viel zu weit, finde ich. Kein Körper sollte Sexualisiert werden, um etwas zu verkaufen. Meine Reaktionen auf solche Kampagnen sind meistens vor allem Ungläubigkeit oder Erstaunen, die irgendwann zu Entsetzen werden. Meine Aufmerksamkeit wird schließlich auch angeregt, zusätzlich triggert mich diese schamlose Objektifizierung aber auch.
Das Phänomen geht durch alle Branchen und jedes Werbebudget. So werben Handwerksbetriebe, Gaststätten und große Modeunternehmen gleichermaßen mit nackten Körpern, wo diese nicht unmittelbar etwas mit dem Produkt zu tun haben. Das ist nicht nur unnötig, sondern beleidigend, herabsetzend und absolut unpassend und könnte sehr einfach vermieden werden.
Glücklicherweise gibt es Aktivist:innen, die nicht müde werden, solche Absurditäten anzuprangern. So beispielsweise die Menschen hinter der Website pinkstinks.de, auf der man nicht nur sexistische Werbeinhalte melden, sondern sich auch umfangreich über solche informieren kann.