Bis dass die Einschaltquote euch scheidet

von Lana Debus

Kurze Frage: Wieso gibt es momentan so viele Datingshows im Fernsehen, die auf Inseln stattfinden?

Verkuppelungs-Versuche vor einem Millionen-Publikum vor den Heimgeräten sind nun ja wirklich nichts neues mehr und längst etablierter Standard im Reality-TV-Universum. Das fing schon bei „Herzblatt“ an und hört bei Formaten wie „Sexy Beast“ – mit Teilnehmer:innen in schrägen Tierkostümen – noch langenicht auf. Aber seit wann dürfen die alle dabei am Pool unter Palmen abhängen und meistens auch noch ein Preisgeld mit nach Hause nehmen?

Deutsche Klassiker waren und sind ja eigentlich „Bauer sucht Frau“ und „Schwiegertochter gesucht“. Zwei Sendungen, bei denen man irgendwie Mitleid mit allen Beteiligten hat, auch wenn man mittlerweile weiß, dass ein Großteil der Charaktere auch nur inszeniert war. Aber seit wann sind alle schon bei Ankunft auf der Insel braun gebrannt, volltätowiert und ultra durchtrainiert? Wieso sind die denn auch so erfolglos auf der Suche nach der großen Liebe und finden niemanden im echten Leben?

Da ich eher ein Dating-Show-Neuling bin, weiß ich nicht genau wann es passiert ist, aber irgendwann gab es da ja schon einen Switch. Irgendwelche pickeligen und uncoolen Romantiker:innen auszulachen musste doch auch besser gehen – und zwar indem man nun super heiße, aber leicht verstrahlte Singles auf der Suche nach Liebe begafft. Und das am besten noch an paradiesischen Orten wie Kreta oder Teneriffa, damit man die Leute im Fernsehen ab jetzt nicht mehr bemitleidet, sondern beneidet und selbst gern Teil davon wäre. Wem das mit den traumhaft schönen Drehorten und Luxusvillen eingefallen ist – alles klar, das ist also gemeint, wenn die Sender in Qualitätsfernsehen investieren. Vielleicht hat es den  Produktionsteams dieser Formate aber langsam auch einfach mal selbst gereicht, immer nur hinter der Kamera in stickigen Big Brother-Containern abhängen zu müssen. Warum deshalb nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Also wurden die sieben Sachen gepackt und nach Mallorca und Co. gekarrt, denn alle sind reif für die Insel. Dort kann in Ruhe gefilmt werden, das Wetter ist meist mehr als gut und keine:r der Teilnehmenden kann es sich anders überlegen und kurzerhand abhauen, denn hier bist du wirklich in Inselparadies und Datinghölle zugleich gestrandet.

Natürlich geht die Rechnung auch für die Kandidat:innen solcher Shows auf. Wieso denn warten, bis man sich seine Flitterwochen am Strand unter Palmen auf Bali verdient hat und nicht gleich schon den Datingprozess an unbeschwerte, malerische Orte verlegen? Und wenn das Ganze noch im Fernsehen ausgestrahlt wird, tut man sogar noch was für seine Karriere als Influencer:in. Ein Real-Life Swipen vor laufenden Kameras. 

Dass nicht jede:r nur nach einem neuen Schnuckelchen sucht, ist wohl kein Schocker. Den Kanditat:innen von „Finger Weg“ (wohl besser bekannt unter dem Originaltitel „Too Hot To Handle“) wurde eigentlich eine flirtreiche Partyinsel versprochen – bekommen haben sie aber einen sprechenden Luftbefeuchter namens Lana (hallo Namensvetterin), die ihre Rolle als Moralapostel und Cockblockerin sehr ernst nimmt. Hier soll der Versuchung im Paradies widerstanden werden, aber das ist nun einmal leichter gesagt als getan, wenn alle um einen herum super oberflächlich, heiß und horny sind. Das Einzige, was die Teilnehmenden in all diesen Formaten zu motivieren scheint, ist aber weiterhin der gute alte Schotter. Gäbe es hier nichts zu gewinnen, würde  wohl Sodom und Gomorra herrschen und damit wären wir dann im 18+-Programm nach Mitternacht.  

Bei Sendungen wie „Love Island“ – der Liebesinsel aller Liebesinseln – würde das natürlich nie jemand offiziell zugeben. Wo kämen wir denn hin, wenn keiner mehr an die große Liebe im Fernsehen glaubte?Zum Glück wurden wir von den Fernsehgöttern in diesem verfluchten Jahr mit ganzen zwei Staffeln dieses Kulturguts beschenkt. Harmonisch wie im Paradies geht es hier aber nun mal doch nicht immer zu. „Es ist gefährlich Single zu sein auf Love Island“, weiß auch Sylvie Meis als neue Moderatorin der Sendung bereits, denn wer nicht schnell genug einen Partner findet, wird eliminiert. Jetzt wird man auch noch dafür bestraft, wenn man wählerisch ist. Also Ansprüche runterschrauben, damit man die Show und ein neues Liebesglück oben drauf gewinnt. Ist doch nicht so schwer, oder? Was mich bei diesen Formaten immer wieder verblüfft, ist, dass sämtliche Kandidat:innen immer noch so jung sind, mit 28 gilt man hier schon als Oldie. Hat die Ü-30 Generation keine Liebe mehr verdient? 

Glückliche Pärchen müssen sich mittlerweile aber auch nicht mehr ausgeschlossen fühlen, wenn es darum geht, ein wenig Inselluft schnuppern zu dürfen. Denn im TV könnt ihr gerne eure Liebe auf die Probe stellen, indem ihr entweder bei „Temptation Island“ mitmacht und euch einem Pack flirthungriger Singles ausliefert, oder ihr beweist bei der jüngst erschienenen Serie „How Fake Is Your Love?“ auf ProSieben, dass ihr ein tatsächliches Liebespaar seid und kein geldhungriges Fake Couple. 

Doch warum schauen wir uns den ganzen Kram eigentlich an?

Das gute Wetter auf den Inseln spielt natürlich auch noch mit in die Einschaltquote rein, da die Kandidat:innen es nur knapp bekleidet bei 30 Grad im Schatten aushalten und wir zusammen mit den Teilnehmer:innen direkt mit begutachten können, wen wir am attraktivsten finden. Wir wissen doch alle, dass so gut wie niemand es hier auf die inneren Werte abgesehen hat, weder vor noch hinter der Kamera und unser voyeuristisches Auge freut sich ebenfalls. 

Auf die Spitze getrieben wird das Ganze wohl von Formaten wie „Adam Sucht Eva – Gestrandet im Paradies“, bei denen die Kandidaten nun nicht mehr leicht bekleidet, sondern vollkommen unbekleidet ins Datinggame geworfen werden. Aber ist das nicht wieder zu viel des Guten? Da steigt weniger der Flirt- als der Kicherfaktor.
Die Show ist übrigens die weniger actionreiche Version von „Naked & Afraid“ vom Discovery Channel, bei der sich ein Mann und eine Frau nackt und mal mehr, mal weniger verängstigt im Dschungel durchschlagen müssen. Wieso ist das eigentlich keine neue Idee für eine Datingshow? Achso – ist es doch, seit diesem Jahr wird auf dem Discovery Channel nämlich auch „Naked & Afraid of Love“ ausgestrahlt. Den auf Youtube auffindbaren Clips zufolge scheinen hier jedoch wirklich alle Teilnehmer:innen ein wenig zu sehr Angst vor der wahren Liebe zu haben, sodass spannender Datingcontent eher rar gesät ist. 

Wer mitreden will, aber keine Energie, keinen Fernseher oder keinen VPN-Zugang hat, um alle Serien zu schauen: guckt euch einfach Reaction-Youtuber wie Cody Ko, Mirellativegal und Co. an. Ist meistens sogar unterhaltsamer als die Originale.

Auch bei der Serie „Ex On The Beach“ scheint es trotz des unangenehmen Aufeinandertreffens mit den Ex-Partner:innen heiß herzugehen. Das liegt unter anderem aber auch daran, dass sich die Kandidat:innen bereits zum Staffelauftakt mehrmals beschweren, wie unerträglich heiß es in der prallen Sonne doch sei. Da schienen die Zustände auf den ersten Blick doch nicht mehr ganz so paradiesisch und Leute, die jammern, wirken pauschal doch erstmal weniger attraktiv. Aber ist halt schon blöd, wenn man von strahlend blauem Meer und riesigen Pools umgeben ist, und dann wegen der ganzen Mikros und des Make-Ups nicht einfach mal entspannt ins kühle Nass springen kann. 

Während bei „Ex On The Beach” sowohl Fernseh-Neulinge als auch Alteingesessene Reality-„Stars“ aus anderen Formaten wie „Temptation Island“ mit von der Partie sind, wird hier mal wieder eines wirklich deutlich: Die meisten Liebschaften halten nun mal einfach nicht für immer. Vermutlich am wenigsten die, bei denen das menschliche Balzverhalten wieder aufs Äußerste getrieben wurde und dann vor einem Millionenpublikum entschieden werden muss, wen man am wenigsten kacke findet. 

Mit der neuen US-Datingserie „FBoy Island“ von HBOmax erreicht das ganze Reality-Datingformat ein neues, ungekanntes Level von Ehrlichkeit und Lügen zugleich. Ausgangslage ist hierbei, dass drei Single-Damen auf insgesamt 24 Typen stoßen und darunter jeweils einen Typen zu ihrem auserkorenen Lover küren. Aber Achtung, Achtung: 12 der Männer sind vermeintliche Nice Guys – also gute Jungs – die anderen 12 sind selbstbetitelte FBoys – also Fuckboys. Wer zu welchem Lager zählt wird aber erst bei der Eliminierung der jeweiligen Typen verraten. Schafft es ein FBoy das Herz einer Kandidatin zu erobern, winkt ihm ein Gewinn von 100.000 Dollar und die Dame geht sowohl in der Liebe, als auch finanziell leer aus. 

Nachdem ich die ganze Staffel an zwei Tagen mit Grippe im Bett durchgesuchtet habe, weiß ich nun wieder: Frauen stehen nun mal doch nicht immer auf die netten Jungs. Der Spruch „Nice Guys Finish Last“ bleibt hier traurigerweise wahr. Als Zuschauer:in schreit man hier auch irgendwann einfach den Bildschirm an, wenn man den Damen so lange dabei zuschauen muss, wie sie nicht checken, wer offensichtlich durch und durch ein FBoy ist (Ja, ich meine Garrett!).
Die Moderatorin Nikkie Glaser, welche ansonsten auch für ihre anzüglichen Stand-Up Shows bekannt ist, wollte den Zuschauer:innen auch bei dieser Show keine heile, perfekte Datingwelt vorspielen: 
„This show allowed me to be that type of host that calls out how dumb all this is and how these relationships probably won’t last, not because reality relationships are fake, it’s because no relationships really last. (…) These relationships on FBoy Island, they’re not gonna fucking last …maybe they will, but that does not mean we can’t treat them like …these are real emotions people are having and that does not invalidate the feelings and the investment as a viewer and as the host.”

Dennoch ist das Feld der Datingshows bislang weitgehend heteronormativ gestaltet. Die beiden Formate „Prince Charming“ und „Princess Charming“ sind die ersten Versuche auch Schwule und Lesben ähnlich wie bei „Der Bachelor“ bei der Suche nach einem Traumprinzen oder einer -prinzessin zu begleiten und queere Liebe im Fernsehen zu normalisieren. 

Besonders „Princess Charming“ als weltweit erste lesbische Datingshow kann hier nicht nur als noch eine weitere Trash-TV-Sendung gesehen werden. Neben Femmes, Tomboys und Butches waren ebenfalls eine bisexuelle Kandidatin sowie eine nicht-binäre Person Teil des Casts. Der Versuch das Genderspektrum auch im Reality-Fernsehen sichtbarer abzubilden ist also gestartet, dennoch auch nicht immer wirklich erfolgreich. Gegenüber dem ze.tt-Magazin äußerten sich zwei Teilnehmerinnen kürzlich verärgert darüber, dass der Umgang vonseiten des Produktionsteams trotzdem nicht immer wirklich queerfreundlich war. Neben dem vermehrten misgendern von Teilnehmer:in Gea seien auch hinter den Kulissen Kommentare gefallen, wie: „Wenn ich dich und eine Sachen so sehe, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du lesbisch bist“. Wow. Da kommt dann doch recht schnell wieder die Frage auf, wie sehr das Ganze einfach nur Pinkwashing von Reality-Formaten ist, wenn nicht mal die Produktionsteams es schaffen, einen Safe-Space für die Teilnehmer:innen zu schaffen. 

Egal ob „Love Island“, „Einsam unter Palmen“, „Bachelor in Paradise“ oder „All Inclusive – Mit Kind und Koffer zur neuen Liebe“ (ja, diese Show gab es wirklich eine ganze Staffel lang): Are You The One? Meistens nicht. Zumindest spätestens dann nicht mehr, wenn alle wieder nach Hause in die echte Welt zurückfliegen. Wurde man einmal wie Adam und Eva aus dem Paradies verbannt, merkt man schnell, dass man sich doch dafür schämen kann wie (emotional) nackt man sich im Fernsehen gemacht hat. Und letzten Endes bleibt die Liebe zu Geld und Ruhm größer als die vermeintlich neu gefundenen Lover. Aber wie auch Nikkie Glaser richtig erkannt hat – so oder so erfreuen wir Zuschauer:innen uns daran, dass wir im Fernsehen vielleicht doch mehr emotionale Achterbahnfahrten miterleben dürfen, als in unserem eigenen Leben. Und wenn wir schon keinen eigenen Urlaub unter Palmen genießen können, dann wenigstens einen fürs Gehirn.