Hier können Sie Ihre #beschwerbung einreichen

Die Initiative #beschwerbung macht in München auf die Auswirkungen von Werbung in der Klimakrise aufmerksam. Ein Interview mit Maria Weise. Von Alina Fetting und Carla Magnanimo

Wer kennt es nicht, man steht am U-Bahn Gleis, morgens auf dem Weg zur Uni oder Arbeit (obwohl das wohl derzeit eher wie ein Relikt aus alten Zeiten wirkt) und wartet. Vor einem hängen Plakate mit den unterschiedlichsten Botschaften, um einen herum blinken Bildschirme, die einem irgendetwas Revolutionäres versprechen, ohne das man nicht mehr leben können sollte. Und es kann passieren, dass man abrupt innehält, noch einmal hinschauen muss, weil man es nicht glauben kann, dass manche Unternehmen immer noch mit billigen, klischeehaften Botschaften arbeiten und mit diskriminierender Werbung ihre Produkte anpreisen wollen. Vieles sind wir gewohnt durch die dauerhafte Beschallung mit neuen, immer dringenderen Nachrichten. Aber manches möchte man nicht auf sich sitzen lassen. Aber wohin mit dieser Wut? Wohin mit meiner Beschwerde?

Zu #beschwerbung. Der Name lässt es schon erahnen – #beschwerbung bietet Menschen die Möglichkeit, sich über diskriminierende oder deplatzierte Werbung zu beschweren. Die Mitglieder vereint vor allem das Engagement für die Umwelt. Viele von ihnen lernten sich über das Kreativkollektiv rehab republic kennen. Projekte wie die Videoreihe #beschwerbung des Monats, Aufklärung über Instagram und Aktionen im öffentlichen Raum, sollen die Menschen auf ihr Konsumverhalten und den Einfluss von Werbung aufmerksam machen. Wir haben uns mit Maria von #beschwerbung getroffen und über Umweltschutz, Wokewashing und darüber, wie man sich gegen Werbung wehren kann gesprochen. Es ist ihr wichtig, nicht als die Sprecherin des Vereins gesehen zu werden, aber sie konnte uns einen interessanten Einblick in die Arbeit von #beschwerbung geben.

Die meisten sehen dann tatsächlich sogar bei uns im Verein den Zusammenhang von Werbung und Umweltschutz gar nicht so, das ist total spannend. Und uns geht es unter anderem in dem Projekt darum, darauf aufmerksam zu machen”, erzählt Maria. Der Fokus liegt meist auf anderen, bekannteren Themengebieten, wie dem Flugverkehr oder Plastikverbrauch. Dabei ist Werbung in vielerlei Hinsicht schlecht für unsere Umwelt.

„Jede Kaufentscheidung, die ich treffe aufgrund einer Werbung, die ich gesehen habe, kann halt im Zweifelsfall die Entscheidung für ein klimaschädliches Produkt sein.“

Nicht nur die beworbenen Produkte sind das Problem, oder das gesteigerte Kaufverhalten, welches durch Werbung beeinflusst wird, sondern die Werbeformen an sich. Allein Briefkastenwerbung trägt zu einer unglaublichen Papierverschmutzung bei. Rund 46 Kilo pro Kopf werden im Jahr hergestellt und zum allergrößten Teil sofort weggeschmissen. 85 Prozent der Werbung, die in unseren Briefkästen landet, wird nicht gelesen. Die immer häufiger auftretende Leuchtreklame auf den Straßen ist nicht nur anstrengend für Menschen, sondern auch besonders schädlich für Tiere. Diese verlieren durch die Dauerbeleuchtung die Orientierung und ihren Biorhythmus und haben damit Schwierigkeiten bei derFortpflanzung oder sterben, weil sie beispielsweise von künstlichen Lichtquellen angezogen werden und dann an den heißen Lampen verbrennen. Somit ist das Leben in Städten, in denen es häufig nie dunkel wird, für manche Tierarten schlicht tödlich. Gleichzeitig zieht natürlich auch der Energieverbrauch durch die Dauerbeleuchtung die Ökobilanz von Städten in einen sehr negativen Bereich. Bei der Produktion oder Bereitstellung von Werbung werden dauerhaft Ressourcen verbraucht.

McDonald’s, der Umweltschützer. Wait, what?

Dass unser Klima und unsere Welt geschützt werden müssen, ist eigentlich schon seit Jahrzehnten keine Neuigkeit mehr. Da immer mehr Menschen ihr Bewusstsein erweitern und versuchen, möglichst nachhaltig zu konsumieren, sind auch große Unternehmen inzwischen auf den Klimaschutz-Zug aufgesprungen. Viele präsentieren sich als besonders klimaneutral und umweltbewusst. Häufig zählen diese jedoch auch zu den größten Klimasündern. Diese Selbstdarstellung als besonders nachhaltig nennt sich Greenwashing. Ein populäres Beispiel ist McDonald’s. Mit einem veganen Burger und dem sogenannten “Better M Store” in Berlin, in dem getestet werden sollte, wie das Unternehmen besser Müll einsparen kann, versucht der Fast-Food-Riese als besonders grün durchzugehen. Die Umweltschutzorganisation Mighty Earth bemängelt jedoch unter anderem die Verbindung von McDonald’s zu Cargill, einem stark kritisieren Tierfutterlieferanten. Zudem wird der vegane Burger von McDonald’s mit einem Patty von Nestlé produziert. Also vielleicht doch gar nicht so grün? Vieles ist mehr Schein als Sein. Doch Felicitas Kitali von Peta beispielsweise findet es wichtig, grundsätzlich dieVerfügbarkeit von veganen Produkten zu erhöhen. Auch über einen sehr konsumorientierten Anbieter wie McDonald’s.

Green oder Woke – Hauptsache Washing

Große Unternehmen haben gleichzeitig auch am meisten Kapital für gut produzierte, überzeugende Werbung. Maria macht hier auf eine Werbung der Commerzbank aufmerksam, die mit einer Frauenfußballmannschaft einen Werbespot gedreht hat. “Das ist ein super cooles Video und ich habe selbst Fußball gespielt, das hat mich natürlich total angesprochen. Auf der anderen Seite fragt man sich trotzdem, was diese Bank jetzt mit Frauenfußball zu tun hat? Nutzen die das Thema irgendwie aus? Mit Sicherheit unterstützen sie die Mannschaft finanziell, das ist auch eine sehr, sehr gute Sache, aber ist das jetzt vielleicht eher ein Feigenblatt für ihre sonstigen Unternehmenspraktiken?”

Dass große Unternehmen sich bestimmte soziale Vorgänge und Bewegungen auf die Fahne schreiben, ist nichts Neues. Und natürlich ist es gut und wichtig, dass Dinge wie Anti-Diskriminierung oder Umweltschutz so eine Plattform bekommen, die sich nicht nur innerhalb einer bestimmten, sehr informierten Bubble bewegt. Doch zwischen wirklichem Engagement und Wokewashing ist es ein empfindlicher Balanceakt. “Setzt die Commerzbank dann auch die Vision von Gleichberechtigung im Unternehmen durch? Das müsste man sich dann auch mal anschauen. Man muss sich die Fälle individuell angucken und sich auch gleichzeitig ein bisschen anstrengen, um dass dann auch differenziert zu beobachten.” Natürlich muss man mitbedenken, dass finanzielle Unterstützung für so große Unternehmen auch leicht zu stemmen sind. Damit schaffen sie es, sich als besonders bewusst oder divers darzustellen. Schließlich müssen Unternehmen mit dem Flow der Gesellschaft gehen, um weiterhin Konsument:innen zum Kauf anzuregen.

Früh anfangen – bei den Kleinsten

Besonders beliebt und beeinflussbar von der Werbung seien auch junge Menschen, betont Maria, ein weiteres Problem, das häufig ausgelassen und nicht mitbedacht wird. Denn Werbung verankert sich in der Kindheit besonders stark, jede:r erinnert sich noch an alte Werbespots. Und Radiojingles aus der eigenen Kindheit gehen einem bis heute nicht aus dem Kopf. Dabei seien Kinder sehr gut in der Lage zu begreifen, welche Schwierigkeiten die Werbung birgt, erzählt Maria. Bei einem Workshop mit einer 7. Klasse zum Beispiel, konnten die Kinder klar benennen, inwiefern die Werbung problematisch war, die ihnen gezeigt wurde und hatten viel Spaß dabei, die Plakate umzugestalten.
Es gibt ja auch spezifisch Werbung für Kinder, und die sei, wenn sie erfolgreich ist, “eine Prägung, die bestehen bleibt bis ins Erwachsenenalter.” Deswegen sei es auch wichtig, Kinder früh dafür zu sensibilisieren, beziehungsweise wenn möglich, von Werbung fernzuhalten.

Werbung vermittelt Rollenbilder und Werte und da lohnt es sich schon einmal genau hinzuschauen, welche und wie diese uns beeinflussen. Das machen wir im Prinzip bei der #beschwerbung und die Idee ist, das nicht mit erhobenem Zeigefinger zumachen, sondern durch kreative Aktionen und Mitmachsachen.

“Hey, so geht das nicht weiter.”

Ein großer Teil der (Aufklärungs-)Arbeit von #beschwerbung findet auf Instagram statt (@beschwerbung). Hier sammeln sich die eingereichten Beschwerbungen, die zum Beispiel mittels des Hashtags #beschwerbung eingereicht werden können. Allerdings ist es nicht ein reines Archiv umstrittener Werbeposter. In der Beschreibung der Instagram Posts findet man immer eine Erklärung dazu, warum die Werbung dahinter problematisch ist oder ein trügerisches Bild des werbenden Unternehmens vermittelt. Die Werbelügen werden aufgedeckt. Es sei wichtig, die Meinungen mit Argumenten belegen zu können, Hintergrundinformation zu geben, damit es auch andere verstehen: “Das ist ja auch noch kein Inhalt zu sagen, ‘ich find halt was doof’. Es muss schon begründet sein”, sagt Maria. “Auch die anvisierten Unternehmen müssten mit Argumenten konfrontiert werden, wenn man ihnen sagen will: ‘Hey überlegt euch nochmal, ob ihr in Zukunft weiter so werben wollt.’”

Gerade dieser Austausch mit den Unternehmen ist auch ein wichtiger Aspekt in der Arbeit des Kollektivs. Die Unternehmen werden in den Posts getaggt, aber auch direkt angeschrieben und darauf hingewiesen, dass ihre Werbung als kritisch empfunden wird. Sie werden dazu aufgerufen zu antworten, sich zu der Kritik zu äußern. Dadurch, dass dieser Prozess in der Öffentlichkeit stattfindet, sind die Unternehmen dann vielleicht auch mehr dazu gezwungen zu reagieren. “Es soll auch nicht nur darum gehen, sie anzuprangern, sondern denen auch die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern und das ist ganz spannend.” Die Idee ist es, einen Dialog zu eröffnen und nicht, dass zwei verhärtete Fronten aufeinanderprallen, die grundverschiedene Dinge erzielen möchten. Werbung wird immer da sein, aber sie sollte sich trotz allem mit der Kritik der Gesellschaft, die oft gezwungen ist, sie zu konsumieren, auseinandersetzen und sie sollte diese ernst nehmen.

Manche Unternehmen würden die Kritik ignorieren, andere gingen darauf ein. “Man hat das Gefühl die eiern da so rum in ihrer Antwort und versuchen es dann irgendwie schön zu reden”, so Maria. Bei anderen hätte man zumindest das Gefühl, etwas bewegt zu haben, wie bei einem Kosmetikunternehmen in München, das nach einer Beschwerbung einlenkte und sich bereit erklärte, in Zukunft darüber nachzudenken, diverse Formen von Schönheit abzubilden. Ob das letztendlich passiert, weiß man nicht, aber es ist immerhin die Möglichkeit, einen Diskurs zu schaffen.

Satire trifft auf Information

Satire und Informatives stoßen häufig aufeinander bei #beschwerbung, sei es bei ihren Aktionen auf der Straße oder im Netz. In ihrer Videoreihe “#beschwerbung des Monats” zum Beispiel, nehmen sie bestimmte Werbungen aufs Korn, wie in diesem Video, in dem es um das Greenwashing vom Energie-Riesen RWE geht:

Solche Aktionen haben auch Spaß gemacht. Also vielleicht auch einfach dieMöglichkeit zu ergreifen oder zu geben, mal auf Werbung zu reagieren. Das ist ja keine Einbahnstraße, man kann dem ja nicht ausweichen.

Bei einer Aktion am Black Friday organisierte die Gruppe eine tanzende Litfaßsäule: Es ging darum, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die in der Innenstadt unterwegs waren, um Black Friday Angebote zu kaufen, und sie möglicherweise dazu zu bringen, ihr Kaufverhalten in Frage zu stellen.


Die Idee mit der Litfaßsäule ist übrigens nicht zufällig entstanden. Bewusst wählten die Mitmacher:innen von #beschwerbung sie auch als ihr Logo.
Als der Drucker Ernst Litfaß diese 1854 in Berlin erfand, war sein Motiv dahinter nicht, mehr Plakatiermöglichkeiten zu schaffen, sondern im Gegenteil, diese einzudämmen. Ziel war, der Werbung einen bestimmten, eingeschränkten Raum zu geben, sodass sie sich nicht in der ganzen Stadt beliebig verteilt. So geht es auch #beschwerbung weniger um das komplette Verbieten von, als viel mehr um das Reflektieren über Werbung: “wir fanden das eigentlich gut, dass es ihm [E. Litfaß] nicht darum ging, Werbung zu verbieten, aber darüber nachzudenken, wo Werbung stattfinden kann und wie es unser Stadtbild beeinflusst. Und das muss ja nicht überall sein, deswegen mach ich hier mal diese Säule.”

Die Litfasssäule von #beschwerbung am Black Friday
Foto: Simone Reitmeier