Wie sich das Volksbegehren „Berlin Werbefrei“ für einen öffentlichen Raum, frei von digitaler Werbung einsetzt.
von Lana Debus und Carla Magnanimo
Stellt euch vor, ihr tretet vor eure Haustür und lauft die Straße hinunter, zur Bahnhaltestelle, zum Supermarkt oder einfach nur um einen Spaziergang zu machen. Alles was ihr seht sind andere Menschen, Geschäfte und Bars – die Stadt, wir ihr sie kennt. Nur eben anders. Denn anstatt, dass ihr alle zwei Meter mit einer digitalen Werbeanzeige für McDonald’s, Mobilfunkanbieter oder Süßigkeiten konfrontiert werdet, erfahrt ihr durch aufgehängte Plakate etwas über die nächsten kulturellen, politischen oder sportlichen Veranstaltungen in eurer Nähe. Kommt euch unrealistisch vor? Nicht wenn es nach dem Volksentscheid Berlin Werbefrei geht.
Wem gehört der öffentliche Raum in den Städten und wie wird das Ganze von der Politik gehandhabt? Was genau beinhaltet der neue Gesetzesentwurf bezüglich der Außenwerbung in Berlin? Darüber haben wir mit Fadi El-Ghazi und Sarah Mohs von Berlin Werbefrei gesprochen.

Worum geht es Berlin Werbefrei? Und wie ist das neue Gesetz, was angestrebt wird, aufgebaut?
Fadi: Berlin Werbefrei ist ein Projekt der direkten Demokratie. Wir möchten mittels eines Volksbegehrens eine deutliche Reduzierung der Außenwerbung in Berlin erreichen. Deutliche Reduzierung bedeutet am Ende, dass es natürlich noch Werbung geben wird, allerdings nur noch an Litfasssäulen, an Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehr und einzelnen, besonders ausgewiesenen Flächen, beschränkt auf Werbung für Veranstaltungen und gemeinnützige Organisationen. Natürlich soll Werbung weiterhin an der Stätte der Leistung, also am Point of Sale möglich sein. Der Gesetzentwurf beinhaltet als wichtigstes Element auch ein Verbot digitaler Werbeanlagen im öffentlichen Raum. Da gibt es auch nichts dran zu rütteln.
Sarah: Unser Gesetz hat noch einen zweiten Teil, der bezieht sich auf Werbung und Sponsoring in öffentlichen Einrichtungen. Vor allen Dingen geht es da um Bildungseinrichtungen und darum, dass Sponsoring – da wo es noch möglich sein wird – sehr transparent gemacht und zum Beispiel in Bildungseinrichtungen für jüngere Kinder auch nicht mehr möglich sein wird.
Werbung in Schulen kommt uns so absurd vor. Wie kann man sich Werbung, vor allem in Grundschulen und Kitas vorstellen?
Fadi: Ein Fall ist zum Beispiel vor zwei, drei Jahren in Hannover gewesen, dort wurde eine Sponsoring-Aktion von Rewe ausgeschrieben. Schulklassen aus der Grundschule sind zu Rewe marschiert, haben ein Lobgedicht auf Rewe vorgetragen und dann 500 Euro Gutscheine bekommen. Und das Ganze wurde während der Unterrichtszeit erarbeitet. Das sind die klassischen Beispiele, wo wir sagen: So geht das nicht in Bildungseinrichtungen. Da ist die Neutralität des Staates gefährdet und man kann Kinder nicht in solche Werbe- und Sponsoringmaßnahmen einbinden. Die Werbewirtschaft sieht das natürlich anders. Je früher man den Konsumenten an den Haken kriegt, umso länger ist er ein Konsument des Produkts, ein Leben lang.
Sarah: Beim dritten Teil des Gesetzes geht es um herabwürdigende und diskriminierende Werbung, also unter anderem um sexistische oder anderweitig diskriminierende Werbung. Auch die soll konsequent verboten werden.
Das betrifft dann wiederum mehr den öffentlichen Raum.
„Ich weiß nicht, ob die Menschen jetzt den öffentlichen Raum mehr wertschätzen und vielleicht erkennen, dass dieser das ‚gesellschaftliche Wohnzimmer‘ ist“
Fadi El-Ghazi von Berlin Werbefrei
„Gerade, wenn wir in Zeiten von Klimawandel und Co2-Obergrenzen darüber reden ist es ganz schön abstrus, dass alle Werbeanlagen digitalisiert werden.“
Sarah Mohs von Berlin Werbefrei
Habt ihr das Gefühl, dass sich die Wahrnehmung der Menschen in der Pandemie gegenüber Außenwerbung im Stadtbild verändert hat?
Fadi: Ich weiß nicht, ob die Menschen jetzt den öffentlichen Raum mehr wertschätzen und vielleicht erkennen, dass dieser das „gesellschaftliche Wohnzimmer“ ist und keine Projektionsfläche für multinationale Unternehmen. Es gibt einfach gerade zu viele andere Probleme, welche die Menschen mehr beschäftigen als Werbung im öffentlichen Raum. Insoweit denke ich, wird unser Thema aber irgendwann wieder relevanter werden und die Werbung im öffentlichen Raum auch immer mehr zunehmen durch die Digitalisierung. Die digitalen Werbeanlagen sind einfach dermaßen invasiv, weil man sie nicht mehr so wie ein Plakat ignorieren kann. Sie arbeiten mit Licht und Bewegung und das Auge reagiert automatisch darauf.
Was genau macht die digitalen Werbeflächen so problematisch im Vergleich zu den klassischen Plakaten?
Sarah: Ein ganz großer Faktor ist der Energieverbrauch Dieser ist einfach enorm. Gerade wenn wir in Zeiten von Klimawandel und CO2-Obergrenzen darüber reden ist es schon ganz schön abstrus, dass alle Werbeanlagen digitalisiert werden. Dazu gibt es tatsächlich auch relativ konkrete Zahlen. Ein City-Light-Poster (CLP) mit einer Werbefläche von ca. 2qm Fläche verbraucht bei beidseitigem Betrieb circa 15.800 Kilowattstunden. Das entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von fünf Durchschnittshaushalten pro Werbeanlage. Rechnet man den Energieverbrauch hoch, so können wir ohne Wohlstandverlust enorme Energiemengen einsparen.
Daneben spielt aber auch die durch Werbeanlagen verursachte Lichtverschmutzung eine wichtige Rolle, die den Biorhythmus von Mensch und Tier negativ beeinflusst und viele Folgeprobleme verursacht.
Welche Orte in Berlin sind eurer Meinung nach besonders stark belastet von der digitalen Werbung?
Fadi: Die erste Sünde, die der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hier begangen hat, war ja damals in dem Bereich Spreepark, also East Side Park, direkt an der Mauer dieses 40 qm Display auf der großen Säule. Da sitzt man abends im Park, aber kann sich überhaupt nicht entspannen, weil die ganze Zeit immer irgendwas flackert wo man hingucken will oder abgelenkt ist. Wir hatten auch mit der Nachbarschaft Kontakt und die meinten, dass sei für sie dermaßen belastend. Das Einzige was sie letztlich erreicht haben ist, dass Mercedes abends das Display ein bisschen runterdimmt. Man steht da und guckt sich die Berliner Mauer an, die ja auch ein Gedenkort ist, aber zeitgleich läuft die ganze Zeit ein Video für Mercedes Benz. Letztlich ist Friedrichshain-Kreuzberg, obwohl es der von den Grünen regierte Bezirk ist, mit am Schlimmsten was diese Werbung angeht. Da sind die anderen Bezirke wesentlich konservativer und da würd ich sagen: „Oh, da hat die CDU in manchen Bezirken ja auch bessere Arbeit geleistet“, weil die haben den Denkmalschutz und andere Dinge auf der Agenda.
