HIER KÖNNTE IHRE ANTIWERBUNG STEHEN

In Hamburg hängt an einer Bushaltestelle ein ADAC-Plakat mit der Aufschrift „Außenwerbung ist lebensgefährlich“. Zu sehen ist ein Auto, das gegen eine Plakatwand gecrasht ist. „Noch 4 Femizide bis Ostern“ prangt es auf einem vermeintlichen Werbeplakat von Parship in Essen. Moment mal, hier stimmt doch etwas nicht. Heimlich, aber gar nicht so still und leise, haben sich hier ein paar Aktivist:innen einen Scherz auf Kosten von großen Unternehmen geleistet.

von Alina Fetting und Lana Debus

Dieses sogenannte „Adbusting“ wirkt auf den ersten Blick amüsant, hat jedoch einen eindeutig politischen Hintergrund. Ausgestattet mit Warnwesten und entsprechenden Schlüsseln zum Öffnen der Werbeflächen verfremden Adbuster:innen bestehende Werbekampagnen oder faken sie komplett.
Gespielt wird mit der Allgegenwärtigkeit der Werbung. Die uns bekannten Logos und Slogans werden umkodiert, um die Marketingstrateg:innen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen oder um auf eigene Faust auf politische und gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Oftmals werden auch staatliche Institutionen öffentlich angeprangert.
Legal ist diese Form der Kommunikationsguerilla nicht, der Verfassungsschutz stufte im Jahr 2018 einen Adbusting-Fall sogar als „gewaltorientierten Linksextremismus“ ein. Andere würden es wohl eher einfach als politische Kunstform betiteln, deren Illegalität nur umso deutlicher die Frage aufwirft, wer den öffentlichen Raum bespielen darf und wer nicht.

Wir haben uns mit zwei Adbusting-Kollektiven unterhalten und sie gefragt, ob eine Stadt ohne Werbung möglich ist und wieso das Ganze als „Kulturtechnik“ bezeichnet werden kann.

Bild links: © Bustie the Crew
Bild rechts: © Public Space Intervention


Public Space Intervention, Essen

„Für uns ist Adbusting eine tolle Art, politische Botschaften in den Alltag zu schmuggeln“, so Public Space Intervention, kurz PSI. „Warum wird so viel physischer und eben auch geistiger Platz für derartig Banales wie Werbung vergeudet, warum lässt sich der nicht sinnvoller nutzen?“
Die Essener Gruppierung leistet eine etwas andere Form der Aufklärung im öffentlichen Raum. Ihre Arbeit nennen sie selbst „#Adbusting gegen die Gesamtscheiße“.


„Diese Flächen zu verändern und in politische Aussagen zu verwandeln ist ein Akt des Widerstands gegen den täglichen Stumpfsinn. Es gibt gesellschaftliche Themen, die uns alle angehen und die dringende Lösungen verlangen. Wenn wir auf der Straße unterwegs sind und öffentliche Flächen vollgekleistert sehen mit Werbung für Katzenfutter, Softdrinks oder Kippen, ist das für uns ein Widerspruch.“
Zum globalen Klimastreik am 19. März haben sie in Kooperation mit Extinction Rebellion auf die globale Erderwärmung und steigende CO2-Emissionen in Form von sogenannten Warming Stripes aufmerksam gemacht:

© Public Space Intervention

Um auf die Klimakrise hinzuweisen, bustet die Gruppe neben Werbeplakaten auch Ampelanlagen, postete auf ihrem Instagram sogar eine Anleitung dazu. Mit Sprüchen wie „FCK RWE“ kritisieren sie so beispielsweise die Braunkohleindustrie. Der öffentliche Raum wird dadurch auf unterschiedliche Weisen bespielt. Starre Regeln gibt es für sie beim Adbusting nicht: „Was gebustet wird muss jede:r für sich entscheiden. Im Prinzip ist alles in einer Vitrine oder auf einer Plakatfläche Werbung und damit auch alles benutzbar. Ob man jetzt Poster von kulturellen oder karitativen Einrichtungen verändern muss, keine Ahnung. Im Zweifelsfall werden die eine handvoll Plakate schon nicht vermissen. Also eigentlich gilt ‚anything goes‘. Wer im öffentlichen Raum kommuniziert, darf nicht meckern, wenn jemand sich entscheidet mitzureden. No-Gos wären für uns eine Beschädigung der Vitrinen und Wände oder eine Veränderung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Thematische Grenzen gibt es eigentlich nicht. Dass wir Rassismus, Sexismus etc. in jeder Form ablehnen versteht sich von selbst.“

Besonders oft verfremden PSI Plakate der Datingplattform Parship, unter anderem um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. „Beim Adbusting haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Idealerweise rufen wir eine emotionale Reaktion hervor, indem wir unsere Botschaft witzig oder provokativ verpacken.“ Umgesetzt werden die Ideen, indem die City-Light-Poster in ihren Kästen durch Collagen verfremdet oder komplett überklebt werden. Das Corporate Design der entsprechenden Firmen wird aber weiterhin übernommen. So fällt das Busting erst auf den zweiten Blick auf und provoziert eine kritische Auseinandersetzung, die sonst auf der Straße nicht gegeben ist.

PSI können sich zwar eine Stadt ohne Werbung vorstellen, ihnen ist aber auch die Ironie bewusst, dass es ihre Gruppe als solche ohne Werbung nicht geben würde. Bei einem kompletten Verbot von Außenwerbung würden sie sich wünschen, dass die freigewordenen Flächen für alle Menschen zur eigenen künstlerischen Nutzung zugänglich wären.

Inhaltlich wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis PSI die Themen ausgehen. Besonders die Klimakrise und die derzeitige Pandemie wollen sie weiterhin in ihren Aktionen aufgreifen: „Es sieht nicht so aus, als würde die Politik das Thema in den Griff bekommen und der Preis, den wir zahlen werden, wird hoch sein. Wir werden uns vermutlich zwangsweise auch mehr mit den sogenannten ‚Corona-Rebellen‘ beschäftigen. Wenn uns die Geschichte, besonders die deutsche, eins lehrt, dann, dass die Vermengung von Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Angst extrem gefährlich ist.“

Über das Thema Angst haben wir uns auch mit Bustie The Crew aus Hamburg unterhalten. Inwiefern diese uns im Alltag oft lähmt und wie wichtig es ist auch Andere zum Aktivismus zu animieren, lest ihr auf der nächsten Seite.